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Sulamith Shahar: Kindheit im Mittelalter

Kirche und Adel bekämpfen Lust und Liebe mit Strategie und Manipulation


Systematisierter Auszug

von Michael Palomino

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aus: Sulamith Shahar: Kindheit im Mittelalter; Deutsch von Barbara Brumm. Artemis & Winkler, München 1991


Zusammenfassung

Die Zusammenstellung zeigt klar eine schiziphrene Position der Kirche zu Lust, Geburt und Kindern auf, des weiteren die seelisch zerstörerischen Praktiken für die verschickten Adelsbuben an fremden Höfen und die Heiratsstrategien durch Kinderehen.


Michael Palomino
1999 / April 2004


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Kapitel

1. Die Einstellung zur Zeugung und das Bild des Kindes in der Kultur des Mittelalters

2. Der Adelsbub im Mittelalter zwischen 7 und 12 Jahren

3. Heirat im Adel im Mittelalter mit 12 Jahren



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1.
Die Einstellung zur Zeugung und das Bild des Kindes in der Kultur des Mittelalters

Das Ideal der Kirche heisst Entsagung. Damit wird die Gesellschaft von der Verantwortung und von Arbeit entlastet (S.11).

Die Kinder gelten dabei als "Geschenke Gottes", und man habe die Verantwortung vor Gott wahrzunehmen (S.17).

Im 12.Jh. erfolgte ien starkes Bevölkerungswachstum. Kinder werden z.T. als Glück angesehen, aber die Freuden stammen gemäss Gerüchten auch vom "Satan", der selbst die "Heilige Schrift" missbrauche: "Seid fruchtbar und vermehret euch" wird zum Fluch wegen Hunger. Der Kinderzuwachs wird aber gleichzeitig tabuisiert. Empfängnisverhütung und Erziehungsprobleme werden nicht thematisiert, und die "Pflichten" der Mutter werden kaum erwähnt (S.11).

Kinder, die "zu viel" sind, gelten als "Strafe":
-- bereiten Kummer und Sorgen
-- kosten Geld
-- verursachen Leiden und machen Männer zu Sklaven der Ehefrauen (S.12).

Dichter des Spätmittelalters über Kinder: Eustache Deschamps:
"Glücklich, wer kein Kind hat, denn kleine Kinder sind nur Geschrei und Gestank, Mühe und Sorge; Sie müssen gekleidet, beschuht, gefüttert werden; immer sind sie in Gefahr, zu fallen oder sich zu verletzen. Sie werden krank und sterben, oder werden gross und schlecht; sie kommen ins Gefängnis. Nichts als Mühe und Verdruss, kein Glück vergilt die sorgen, Anstrengungen und Kosten der Erziehung. Kein grösseres Unglück, als missgestaltete Kinder zu haben." (S.12)

In: Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters, S.42

Ehrgeiz und zu viel Liebe in der Erziehung wird von Predigern und Autoren z.T. sogar gerügt und als "Sünde des Stolzes" gebrandmarkt, wenn Extreme vorkommen, wie Essensverzicht, Besitzverpfändung, Kreditaufnahme, Diebstahl, Almosenverweigerung. Kinder halten Leute insofern ab, "Gutes zu tun" und provozieren Sünden, so die Kirchenredner (S.13).

In:
-- Langlois, Charles Viot: "La vie en France au moyen âge", Paris 1926, Bd.2, S.23-2
-- Regensburg, Berthold von: "Vollständige Ausgabe seiner Predigten", hrsg. F. Pfeiffer, Wien 1862, Bd.1, S.104

Im Gegensatz dazu wird in der Kirche auch die Maria verehrt und die gebärende Mutter ab dem 12.Jh. preisgekrönt nach dem Bibelwort:
"Sie werden aber dadurch gerettet werden, dass sie Kinder zur Welt bringt, wenn sie in Glaube, Liebe und Heiligkeit ein besonnenes Leben führt." (1.Timotheusbrief 2, 15) (S.17).

Buch Sidrach dagegen stellt Gott vor die Kinder:
"Gott allein soll man mehr lieben als sich selbst; und danach sein Weib und danach seine Kinder." (S.13)

In: Buch Sidrach:; In: Textsammlung von Klaus Arnold: "Kind und Gesellschaft in Mittelalter und Renaissance", S.127

Gott steht vor den Kindern, streng nach Bibelwort:
"Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig." (Matthäus 10,37).

Kinderschriftsteller loben Väter und Mütter sogar, die Kirchenorden beitreten und die Kinder im Stich lassen (S.14). Zum Teil existieren in den Kirchenorden Klauseln, dass man die Kinder mitbringen darf (S.17).

Bsp.: Margarete von Cortona befreit sich als Witwe vor lauter Gebet und aus falscher Reue von ihren Muttergefühlen. Sie will sich befreien nach dem Bibelwort: "und aus Liebe zum geliebten Bräutigam "Jesus" verbannte sie ihren Sohn aus ihren Augen." (Lukas 1,26) (S.14).

In: Bollandus, J./Henschenius,G.: Acta Sanctorum. Paris, Rom, S.307

Bsp.: Michelina von Pesaro betet um den Tod des kranken Kindes, um dem Franziskanerorden beitreten zu können und ein Leben lang Gott zu "dienen", was dann auch geschieht (S.14-15).

In: Analecta Bollandiana 6 (1946), S.15

Massnahmen der Kirche, die zu vielen Kindern führen

Gleichzeitig:
-- Abtreibung ist verboten
-- Tötung Behinderter ist verboten
-- Aufschiebung der Hinrichtung schwangerer Frauen bis zur Geburt
-- Hochzeit mit Segenswünschen für reiche Nachkommenschaft
-- Hochzeit mit Fruchtbarkeitsriten aus vorchristlicher Zeit
-- Junggesellen werden von den Priestern getadelt (S.15)
-- verheiratete Männer, die aus Armut keine Kinder mehr zeugen, werden von den Priestern auch getadelt (S.15-16).

Allgemein wird bei der Kirche immer differenziert zwischen Laien und jenen, die sich in Keuschheit für ein Leben im Schoss der Kirche entschieden haben. Wer nicht im Schoss der Kirche lebt, soll mit vielen Kindern arm leben, wer im Schoss der Kirche lebt, soll steril sein (S.15-16)

ab 2.Hälfte 13.Jh.
Wechsel der Kirchenpropaganda: Lehren vom Sexualtrieb
Verbreitung von Lehren des Aristoteles und Thomas von Aquin: Kinderzeugung sei ein Naturtrieb, der Vater wolle sich in seiner Nachkommenschaft verdoppeln. Zusätzlich propagieren die Priester, dass viele Söhne als Segen gelten, gleichbedeutend mit irdischem Reichtum (S.16).

In: "Specula Laicorum", hrsg. von J.Welter, Paris 1914, S.86

15.Jh.
Neue Kirchenpropaganda: Kinderreichtum sei eine Todesumgehung: Man lebe in den Kindern weiter und sei nicht ganz tot (S.16).

In: "Dives et pauper" ("Der Reiche und der Arme"), hrsg. P.H.Barnum; EETS, London 1976, Bd.1, S.328

Das Bibelwort dazu:
"Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Grösste. Und wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf." (Matthäus 18,3-5)

Und auch im Adel sei Nachwuchs erwünscht (S.16,17).

Nach den Seuchen und den Pestjahrhunderten kommt die Bevölkerung zur Einsicht, die Kinder besser zu schützen mit Vorbild von Joseph als Schützer der Familie (S.18).


Propaganda für und wider Kinder

Für beide Bilder für und wider Kinder gibt es Schriften und Vorbilder, u.a. für das Kind als Produkt sündiger Fleischeslust im irdischen "Jammertal". Dies beklagen dann jeweils kinderlose Autoren (S.18-19).

v.a. In:
"De contemptu mundi" ("Über die Verachtung der Welt"). Traktat von Papst Innozenz dem III. PL 217, Sp. 703-707.
"De miseria humane conditionis" von Papst Innozenz III. Ed. Michele Maccarone, Rom 1955, S.8-14.


Die Verdammung der Kindheit

Die Kindheit gilt bei Aristoteles und seinen Anhängern als niedrigste Stufe im Leben, denn es sei eine Zeit der Unvollkommenheit und Unwissenheit, ohne Entscheidungsfähigkeit und nur sinnlichen Freuden zugänglich, ohne "edle" uneigennützige Taten (S.20).

->> die Kindheit wird verteufelt
->> die Kindheit gilt als "niedrigste Stufe im menschlichen Leben" (S.20).

In:
Aristoteles: "Die Nikomachische Ethik", neue Ausgabe von Olof Gigon; Zürich, Stuttgart 1967, 3.Buch Kap. 2 und 11
Vincent von Beauvais: "Speculum Quadruplex, Speculum Naturale"; Donai 1624, Sp.2350-2351


Die Kindheit eines Heiligen in der Kirchenpropaganda

Ein Heiliger
-- darf keine Kindereien machen
-- hat als Kind schon gefastet und an gewissen Tagen die Mutterbrust verweigert
-- kreuzt bereits in der Wiege die Arme über der Brust
-- betet bereits als Säugling, bevor er sprechen kann
-- spielt nicht mit anderen Kindern und verteilt bereits Almosen als Kind (S.20).

Die Kirche begründet den Begriff des "puer senex", des reifen Kindes, des "greisen Kindes", dessen Wahrnehmung "wunderbar" wird, so dass das Verhalten weder kindlich noch jugendlich erscheint (S.20).


Die Kirche verteufelt die Jugend

-- Jugendliche würden physisch und intellektuell sich entwickeln
-- gleichzeitig aber werde der "Hang zur Sünde" stärker (S.21).

In:
-- Hildegard von Bingen: "Causae et Curae", ec. P.Kaiser, Leipzig 1903, S.45
-- Thomas von Aquin: "In Quatuor Libros Sententiarum Magistri Petri Lombardi", Ed. Parma 1857

Sulamith Shahar schildert die Kirche, wie sie Jugendliche sieht:
"Der heranwachsende gilt mit anderen Worten als jemand, der stärker von seinen Trieben bestimmt wird als von der sich entwickelnden Vernunft. Ihrer Ansicht nach macht sich diese Neigung zur Sünde im Alter von sieben Jahren bemerkbar und erreicht ihren Höhepunkt im Jugendalter. Jugendliche ab vierzehn werden als leichtsinnig und arrogant verurteilt, nicht bereit, die Autorität ihrer Eltern und Erzieher zu akzeptieren; sie achten ihre Eltern nicht, ziehen es vor, zu tanzen, herumzualbern und das durch die Priester verkündete Wort Gottes zu missachten. Sie sind zügellos und geben sich fleischlichen Begierden hin." (S.21)

In:
-- Daniel, Walter: "The Liefe of Ailred of Rievaulx", hrsg. und übersetzt von M.Powicke; Nelson Series, London 1950, S.2,17
-- Vincent von Beauvais: "De Eruditione Filiorum Nobiliorum", hrsg. A.Steiner; Cambridge / Mass. 1938, S.6,7,134
-- "Acta Sanctorum", Mai. IV, S.617; Jan. I, S.553
"Analecta Bollandiana 30 (1912), S.55
Philipp von Novarra: "Les quatre ages de l'homme", hrsg. M. de Fréville, Paris 1888, S.46-47


Der Heilige in der Jugend gemäss kirchlicher Vorstellung - die Forderung nach strenger Erziehung

-- ist die Ausnahme von der Regel: bescheiden, fromm, fleissig
-- ist ein leuchtendes Vorbild an Keuschheit in Gedanken, Worten und Taten
-- so wird durch Schilderungen des "aussergewöhnlichen Jugendlichen" das tadelnswerte Verhalten der anderen verurteilt (S.21).

->> Die Kirchenautoren verlangen Strenge gegen Jugendliche. Die Autoren, die die Sünder in der Kindheit und Jugend reklamieren, verlangen nach mehr Strenge und Rigorosität in der Knabenerziehung. Shahar:
"Es scheint, als hätten sie die eigene Arroganz, Gewinnsucht und Begierde, derentwegen sie sich schuldig fühlten, auf die Jugendlichen übertragen." (S.21).


Kirchenhetze gegen Jugendliche: Beispiel Augustinus

-- These: Kinder seien in Sünde geboren
-- These: Kinder würden mit der Taufe unschuldiger als die Erwachsenen
-- dabei wurde Augustinus selbst oft als Kind geschlagen
-- Gebete mit Bitten zur Bewahrung vor Schlägen nützen nichts
-- Ballspiel und andere Spiele mit Kindern werden bestraft
-- Spiele der Erwachsenen gelten als ernsthafte Beschäftigung ("negotia"), dann mit Eifersucht und Sünde behaftet.

Insgesamt ist das Kind gemäss Augustinus weniger Sündig als der Erwachsene, aber eben sündig (S.22).

In:
-- "Confessiones" S.8
-- "Bekenntnisse" S.42
-- "De civitate Dei", Buch 22, Kap. 22, S.844


Kirchenpropaganda für das "reine" Kind

Kinder seien rein wie die Engel, und wenn sie Gott dienen würden, so bringen sie Gott "feinstes Weizenmehl dar, die Greise hingegen Kleie" (S.22).

In: Bromyard, John: "Summa Praedicantium". Ausg. Antwerpen 1614, S.5

Die Kirchenschreiber behaupten, mit dem Erwachsenwerden würden Unschuld und Freude verlorengehen (S.23).

In:
-- "Acta Santorum", Sept.III, S.645
-- Hildegard von Bingen: "Liber Divinorum Simplicis Hominis", PL189, Sp. 836-837.

Die Kirchenschreiber behaupten, durch ihre Unschuld seien Kinder fähig, Wahrheiten aufzunehmen, die den Erwachsenen verschlossen seien (S.23).

In: "Acta Sanctorum, Mart. III, S.193; Febr. I, S.260

Der feste Glaube des Kindes an die Heiligkeit eines Menschen sei ein weiterer Beweis für dies "Heiligkeit" des Kindes selbst, so die Kirchenschreiber (S.23).

In: "Acta Sanctorum", Jan I, S.639

Und: Heilige würden z.T. gerne unter Kindern weilen, wegen ihrer Reinheit und Unschuld. Deswegen seien Kinder bei den Heiligen beliebt, da die Heiligen sich auch selbst noch kindliche Eigenschaften bewahrt haben und die Wesensverwandtschaft spüren würden (S.23).

In:
-- "Acta Sanctorum", Mart. I, S.553, 574
-- "Magna Vita Sancit Hugonis", Ausg. und Übersetzung von D.L. Dowie und Dom H.Farmer. Nelson Series, London 1961, Bd.I, S.129
-- "Mirk's Festival", S.11-12

Kirchen-Abbés behaupten auch, ein Kind sei mehr zur Vergebung fähig als die Erwachsenen, und das Gebet eines Kindes habe mehr Wirkung als das eines Erwachsenen. Ebenso seien Kinder eher zum Teilen fähig (S.23).

In:
-- Schriften des "Heiligen Columbanus" des 7.Jh. u.a.
P.Riché: "Education et culture dans l'Occident barbare, Vie - VIIIe siècles". Ed. Paris 1962, S.505


Die Jesuskindverehrung

Unter die Kindverehrung gehört auch die Jesuskindverehrung. Prediger appellieren, durch Anbetung des Jesuskindes werde  man wieder rein und unschuldig wie kleine Kinder (S.23).

In.
-- "In Conversione S.Pauli Sermo II, PL 183, Sp. 365
-- Gerson, Jean: "De parvulis ad Christum trahendis"; In: "Oeuvres complètes", ed. v. P.Glorieux, Bd.9, Paris 1973, S.669, 670-671

13.Jh.
Erstes Aufstellen von Weihnachtskrippen in Kirchen mit dem "Jesuskind" (S.23-24)

"Jesus" wird gepriesen als gescheiter Jüngling, der eine künftige Heilige vor ihrer bösen Schwester schützt und diese sogar schlägt (S.24).

In: "Acta Sanctorum", Apr. II, S.168


Weitere Kinderphantasien: "Gute" Kinder

Aegidius Romanus nennt als gute Eigenschaft der jungen Leute Mut, Hoffnung, Glaube und Barmherzigkeit (S.24).

In:
Aegidius Romanus: "De regimine principum", Buch 1, Teil 4, Kap. 1-4

Beim Eintreten des Todes wird die emporschwebende Seele oft als kleines Kind dargestellt (S.24).

In: I.H. Forsyth: "Children in Early Medieval Art: Ninth through Twelfth Centuries"; In: "Journal of Psychohistory" 4 (1976/77), S.56-57

Kindermord sei das Allerschlimmste, und Herodes sei deswegen zu verdammen (S.24-25).

In: F.Bonney: "Enfance divine et enfance humaine"; IN: "L'enfant au Moyen Age. Littérature et Civilisation" (Senefiance 9, Aix-en-Provence 1980), S.9-23


Kinder in der Psychologie der 1970-er Jahre

Meinung Galen: These: Kinder seien von Natur aus gut eingestellt
-- brauchen keine Zucht
-- brauche Bewahrung vor schlechten Einflüssen, vor dem Hören von Schandtaten, vor dem Anblick "unsittlichen Verhaltens und nackter Erwachsener" (S.25).

In: Artikel von L.Demaitre: "The Idea of Childhood and Child Care in Medical Writings of the Middle Ages"; In: "Journal of Psychohistory" 4 (1977), S.481 und Anmerkung 114-115

denn, so die Ansicht: Die Kinder entwickeln eine natürliche Zuneigung zu den Personen, die sie ernähren, und so zeigen die Kinder Bereitschaft, Disziplin zu akzeptieren (S.25).

In: Aristoteles: "Die Nikomchische Ethik", Buch 10, Kap.9

[nicht erwähnt: Kinder brauchen das Spiel mit Erwachsenen zum Vorbild für Verhaltensmuster].


Die Kirche mit ihrem Ideal unschuldiger Liebe

Zwischen Kindern soll die Liebe "unschuldig" sein, so propagiert die mittelalterliche Kirche, z.B. im "Rosenroman" ("Le roman de la Rose") im 13.Jh. Die Liebe sei zwischen Kindern frei vor sündiger Lust oder Scham, sei wie die "Liebe eines Taubenpaares" (S.25).

In: "Der Rosenroman", hg. und übersetzt von Karl Ott; München 1976-79), Bd.II, S.666


Die Kirche fordert Sühne für "sündige" Liebe
z.B. sollen Tristan und Isolde für ihre Sünde Sühne leisten (S.25).

In: Artikel von D.Buschinger: "L'enfant dans les romans de Tristan en France et en Allemagne". In: L'Enfant au Moyen Age. Littérature et Civilisation (Senefiance 9, Aix-en-Provence 1980), S.262-265

und Kinder sollen den Heiratszug anführen
mit dem Glauben an die Unschuld der Kinder, weil sie keine sexuelle Lust kennen würden und auch die Bedeutung des Todes noch nicht kennen würden (S.25-26).




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2.
Der Adelsbub im Mittelalter zwischen 7 und 12 Jahren

Die meisten Söhne müssen bei Verwandten oder Bekannten aufwachsen

Ab dem Alter zwischen 7 und 9 Jahren werden alle Buben ausser den Erstgeborenen an andere Höfe verschickt. Gegen den Rat der didaktischen Schriftsteller wachsen die Söhne nicht beim Vater auf, sondern bei einem Onkel, bei einem Freund, oder bei einem Lehensherr des Vaters. Ausser der 1.Sohn: Der 1.Sohn im Hochadel darf weiter zu Hause aufwachsen. Uneheliche Söhne werden wie die meisten auch in ein anderes Adelshaus geschickt (S.238).

Es gibt Buben, die über die Verschickung sehr unglücklich sind, wenn sie an höhere Adelshäuser verschickt werden. Sie schämen sich oft der "niederen Herkunft" (S.246-247).

In: Bromyard, John: "Summa Praedicantium". Antwerpen 1614, S.5

Und meist fällt den jungen Buben die Trennung von Mutter und von den Schwestern schwer. Die anvertraute weibliche Welt geht verloren. Auch für die Mutter und für die Schwestern ist die jahrelange Verschickung ein schwerer Schritt (S.250)

Bsp.: William Marshalls Schwester weint, als ihr Bruder für die Ausbildung in die Normandie verreist (S.250).

Und gleichzeitig gilt das Sprichwort, dass die Erziehung fremder Kinder ein Unglück sei:
"Il fait mal nourrir autruy enfant, car il s'en va quant il est grant." [Es ist ein Kreuz, das Kind anderer Leute grosszuziehen, denn es zieht weg, wenn es erwachsen wird."] (S.246)

In: J.Morawski (Hrsg.): "Proverbes français antérieurs au XVe siècle"; Paris 1925, S.32

Die Kirche ab dem 13.Jh. tritt aber nur wenig für die Abschaffung des Brauches ein. Geistliche äussern sich selten gegen die Praxis (S.247).

In: J.Goody: "The development of the Family and Marriage in Europe"; Cambridge 1983, S.68


Begründung der Kinderverschickung

-- die Zukunft des Kinder soll mit Kontaktentwicklung gesichert werden
-- Friedenssicherung durch Treue des Kindes zum Feudalherr
-- stillschweigende Übereinkunft: Der Sohn wird beim Feudalherrn zur Geisel
-- Spannungen verhindern zwischen dem erbberechtigten Sohn und dem 2.Sohn
-- es herrscht die Überzeugung, dass Fremde die Kinder in der 2.Phase besser erziehen können als die eigenen Eltern (S.247).


Der Feudalherr bildet den fremden Buben aus

-- Ausbildung zum Waffendienst: Verantwortung liegt beim Feudalherr
-- der Feudalherr erfüllt gleichzeitig die Rolle eines Lehrers und eines Vaters
-- die vielen Jungen um den Feudalherrn wetteifern gleichzeitig um die Gunst des Feudalherrn (S.239).

In: G.Duby. "Guillaume le Maréchal ou Le Meilleur Chevalier du monde." Ed. Paris 198. S.82-86


Der Anfang der Kinderverschickung: Page sein - reiten lernen - Jagd erleben - Waffendienst - Hauslehrer

-- der Bub wird "Page" mit einer speziellen Kleidung
-- im Spätmittelalter besteht die Kleidung aus Hemd, eng anliegendem, geschnürtem oder mit Knöpfen versehenem Wams, ein Beinkleid, Gürtel mit verzierter Schnalle, Umhang (S.239)
-- erste Reitversuche mit einem erwachsenen Reiter, reiten lernen (S.240)

In: L.Gautier: "La Chevalerie". Ed. Paris 1985, Faks.-Neudruck, Puiseaux 1988, S.76

Der Page kommt auf die Jagd mit, lernt, v.a. auf Vögel zu schiessen, lernt manchmal auch, wie man Tiere zähmt, v.a. Vögel, lernt, die Vögel für die Jagd abzurichten. Gefahr sind dabei die Jagdunfälle. Die Buben beim Feudalherrn wetteifern dabei um die Jagd. Das Ganze ist nicht ungefährlich und ist ein Grund für die geringe Lebenserwartung der Männer im Adel (S.241).

Und Waffendienst bzw. Ritterdienst ist auch Programm des Pagen. Die Pagen bekommen somit eigentlich kaum Schulbildung (S.23). Die theoretische Schulbildung wird durch einen Geistlichen der niederen "Weihegrade", durch einen Kapellan oder durch einen Mönch gegeben, hat aber keine bedeutende Rolle (S.239).

Viel wichtiger ist das Vormachen-Nachmachen und die Nachahmung:
-- Kennenlernen des "Ethos des Rittertums"
-- Integration in die Erwachsenengemeinschaft durch Nachahmung
-- sich die Werte "aneignen" durch Vormachen-Nachmachen
-- so werden schon in der Kindheit "ritterliche Eigenschaften" entwickelt (S.239).

In: G.Duby: "Guillaume le Maréchal ou Le Meilleur Chevalier du Monde". Ed. Paris 1984, S.82-86

Ebenso findet die Vertrautheit mit der "höfischen Kultur" und mit dem ungezwungenen Triebleben der Tiere statt. Die Gruppe ist der entscheidende Faktor. Wichtig ist dabei, dass die Gruppe als Lob- und Sanktionsinstrument fungiert, wo Stolz und Scham erlernt werden (S.241), wo das "ritterliche Ethos" erlernt wird durch Einüben bestimmter Verhaltensnormen. Insgesamt wird das "Unerwünschte" durch die Erwachsenen und durch andere Kinder sanktioniert. Die ältesten Buben bleiben beim Vater und erlernen dies alles von ihm selbst (S.242). Gemäss Norbert Elias gibt es im Mittelalter dabei keine Bestrebungen, die Adels-Buben zu zügeln oder zu bändigen (S.24).


Bubenspiele

Die "Pagen":
-- bilden eine Gruppe für sich
-- sind im Alltagsleben der Erwachsenen miteinbezogen
-- wachsen im Pferdestall und in der Waffenkammer auf
-- insgesamt wachsen sie in einer nach Schweiss stinkenden Welt auf (S.241)
-- sie machen gemeinsame Spiele auch ohne Waffen, z.T. mit Ball und Schläger, Rosenkugelspiele, Spiele mit Schlagholz, Federball, Werfen, Holzpflockspiele, Schach, Tricktrack (eine Art Backgammon) etc. (S.242).


Die Anerziehung von Stolz [und Schizoidität]

Anerzogen werden Mut, Draufgängertum und Ausdauer. Didaktische Schriftsteller empfehlen, die Buben sollen sich "abhärten" und an den Anblick von Leichen gewöhnt werden (S.244).

In: Bernhard von Gordon: "De Conservatione Vitae Humanae. Leipzig, 1570, S.29

Konkrete Eigenschaften, die die Buben am Abschluss der Erziehung haben sollen:
-- Stolz auf ihre adlige Herkunft
-- Stolz auf die eigene Familie
-- Stolz auf gewisse Verhaltensmuster in Gegenwart von adligen Frauen und Mädchen
-- Klugheit und massvolles Verhalten
-- Gerechtigkeit [nur unter adligen Männern] (S.244)

Die Mässigung wird gemäss Shahar aber nicht besonders gefördert (S.244-245). Es kommen so Persönlichkeiten zustande
-- mit viel Stolz
-- mit einem schwachen Über-Ich
-- mit labiler Selbstbeschränkung
-- mit der Neigung zu emotionalen Ausbrüchen und extremen Stimmungsschwankungen (S.244-245).

Die Unausgeglichenheit [und Schizoidität] sind vorprogrammiert, weil ein totaler Rollenkonflikt zwischen dem weltlichen Ritterideal mit Widerspenstigkeit und schrankenloser Triebhaftigkeit und dem kirchlichen Ideal der Barmherzigkeit und der religiösen Ekstase besteht (S.244, 245).

In: Elias, Norbert: "Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen." Frankfurt am Main 1976, Bd.I, v.a. S.23 und S.283.


Die ersten Söhne bei Vater und Mutter: Geborgenheit bei der Mutter - Schläge möglich

Die ersten Söhne haben das Privileg, bei der eigenen Mutter aufwachsen zu dürfen, was den Empfehlungen der didaktischen Schriftsteller entspricht (S.250). Zum Teil sind die Väter zu ihren Söhnen aber sehr streng. Zum Beispiel wird Gilbert von Sempringham  so geschlagen, dass er z.T. Lähmungen davon bekommt. Hugo von Cluny fürchtete den Vater stets (S.248).


Lehrer schlagen Kinder

Bsp.: Graf von Rutland beklagt sich über Schläge des Lehrers, weil er beim Lesen einen Fehler gemacht habe (S.249).

In: J.T.Rosenthal: Nobles and the Noble Life 1295-1500; London 1976, S.91

Geschwisterneid und Geschwisterstreit
v.a. wegen des Erstgeburtsrechts (S.249).


Der häufige Vaterverlust im Adel

-- sehr oft verlieren die Kinder schon in früher Kindheit den Vater
-- der erste Sohn entwickelt nach dem Vaterverlust eine noch engere Beziehung zur Mutter
-- die Mutter wird dann für die Kinder Vormund
-- bei Lehenserbe mit Herrschaftsfunktion führt die Mutter die Herrschaft aus, solange der 1.Sohn noch minderjährig ist, sie wacht über seinen Besitz
-- so kommt es im Adel zu vielen vaterlosen Helden in der Literatur: Raoul de Cambrai, Tristan, Parzival, Lancelot etc. (S.247).


Der Mutterersatz auf dem fremden Hof

-- die Gemahlin des Feudalherrn
-- z.T. wollen diese Mütter die Kinder sogar gegen den Krieg erziehen (S.248).

Die Feudalliteratur schneidet das Thema der Beziehung zwischen fremden Buben und der Feudalherr-Gemahlin an. Oft begehren die jungen Knappen und Ritter die Gemahlin des Feudalherrn, oder die jungen Knappen/Ritter werden Liebhaber der Frau, z.B. bei Tristan, der in
Diensten des Königs Marke steht (S.248).

In: G.Duby: "Le Chevalier, la femme et le prêtre", Paris 1981, S.234-237

Psychologisch herrscht bei den fremden Buben gemäss Shahar ein totales Liebesbedürfnis:
"Psychologische betrachtet spiegelt es die ödipale Situation wider: Der Held "tötet" seinen Vater (den er als 7-Jähriger verlassen musste) und findet einen anderen Vater, den Onkel mütterlicherseits oder einen Übervater wie König Artus. Die jungen Männer begehren die Gemahlinnen dieser Ersatz-Väter." (S.248)


Die Müttersorgen um die Söhne

Zwischen Müttern und Söhnen besteht nur wenig Kontakt. Nur der erste Sohn kann eine enge Beziehung zur Mutter aufbauen, v.a., wenn sie früh Witwe wird (S.247).

Die Müttersorgen um die Söhne werden nie erwähnt. Die Mütter sind in Heiligenviten betend dargestellt, wenn die Söhne in die schlachten ziehen und sie sie nicht daran hindern können (S.247).

In: Acta sanctorum, ec. J.Bollandus et G.Henschenius. Paris, Rom, 1863-1940, Apr. I, S.420

oder die Mütter versuchen, die Söhne vor roher Gewalt abzuhalten (S.247).

In: Ebenda, S.38.


Mädchen sehen den Vater kaum

Die Tochter-Vater-Beziehung existiert eigentlich kaum. Der Vater schaltet sich erst bei der Suche nach vermögenden Ehemännern in die Erziehung der Töchter ein (S.255)




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3.
Heirat im Adel im Mittelalter mit 12 Jahren

Töchter werden meist schon im Kindesalter verlobt und wachsen dann im Schloss des künftigen Gemahls auf.

Bsp.: Die Heilige Elisabeth von Thüringen wird 4-jährig mit dem Landgraf von Thüringen verlobt und 4-jährig auf die Wartburg gebracht. Mit 1 findet dann die Hochzeit statt (S.251).

Der päpstliche Erlass über Frühehen, dass Jungen und Mädchen für die Heirat einverstanden sein müssen, nützt nicht viel. Die Mädchen werden zur Zustimmung gedrängt. Wenn die Kirchenbehörden Nachweise von Gewalt oder Druckausübung haben, kann die Ehe annulliert werden (S.255, 374).

Päpstlicher Erlass über Frühehen: In: R.Metz: "L'enfant dans le droit canonique médiéval"; In: Bodin, Jean: Recueils de la Société 36/2. Brüssel 1976, S.31
Zustimmung der Kinder zur Ehe: In: R.H.Helmholz: "Marriage Litigations in Medieval England." Cambridge 1974, S.91-94


Ab dem 12.Jh. nimmt der Altersunterschied zwischen Mann und Frau zu. In Nordfrankreich sind die Männer bei der Heirat 25-30 Jahre alt (S.256, 375).

In: G.Duby: "Dans la France de Nord-Ouest au XIIe siècle. Les "Jeunes" dans la société aristocratique. n: "Annales ESC 19" (1964), S.835-846

Im 1.Jh. sind die Adelsmänner bei der Heirat durchschnittlich 22 Jahre alt (S.375).

In: D.Herlihy: Medieval Households. London 1985, S.105,121

Im Spätmittelalter ist das Durchschnittsalter der Adelsfrau bei der Heirat 17 Jahre (S.255).

In: Th.H. Hollingworth: "A Demographic Study of the British Ducal Families"; In: "Population Studies" II, 1957, S.4-26


Heirat und Liebe in der höfischen Literatur

Die Heirat wird als Frauendienst des Mannes mit Bewährungsproben im Krieg beschrieben, erst dann wähle die Frau aus, so die Lyrik, v.a. in der provenzialischen Lyrik (S.252-253).

Die höfische Literatur propagiert das "Ideal der höfischen Liebe" mit Frauendienst des Mannes. Die Frau soll ein unerreichbares Ideal darstellen. Gleichzeitig widerspricht das aussereheliche Liebeswerben den kirchlichen Normen für das "Normal"-Volk (S.244).


Verheiratung vor der Volljährigkeit

Indem die Frauen vor der Volljährigkeit verheiratet werden, werden diesen Frauen alle Rechte vorenthalten, die mit der Volljährigkeit verbunden wären. Viele junge Adelsfrauen sind mit den neuen Anforderungen überfordert. Die Männer verfluchen die Frauen, die z.T. noch mit Spielzeug spielen (S.256).

In: Acta Sanctorum, Jan.I, S.345

Dichter Arnaut Vidal de Castelnaudari bezeichnet ein 13-jährige Mädchen, das ein Kind zur Welt bringt, als "infanta" (S.256).

In: Arnaut Vidal de Castelnaudari: "Guillaume de La Barre"; ed. v. P.Meyer. Paris 1895, S.113-11
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Vor dem 12.Jh. werden die Mädchen verheiratet, egal, was es meint. Das Mindestalter im kanonischen Recht für Eheschliessung ist 12 Jahre. Aber manchmal wird die Heirat schon vor 12 geschlossen, gilt juristisch als Verlobung, die das Mädchen mit 12 für ungültig erklären kann (S.255).

In: T.H. Hollingworth: "A Demographic Study of the Britisch Ducal Families"; In: "Population Studies" II 1957, S.4-26

Vor allem im Hochadel wird sehr jung geheiratet. Die Buben sind meist nur geringfügig älter als die Mädchen, z.B. Verlobung eines Buben mit 10 mit einem Mädchen mit 12, Heirat dann der Bub 13 und das Mädchen 15 Jahre alt (In: Acta Sanctorum, Sept. VII, S.540), oder Heirat, wo Bub und Mädchen 8 Jahre alt sind (In: E.Power: "Medieval Women", ed. v. M.M.Postan, Cambridge 1975, S.39).

über Junge Heiraten: siehe auch J.T. Rosenthal: "Nobles and the Noble Life 1295-1500", S.177.


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