8b. Europa mit Analyse:
Berichte über UreinwohnerInnen
Die "Neue Welt", die gar
nicht "neu" war, provozierte bei Intellektuellen in Europa
Analysen und Berichte über "neue UreinwohnerInnen"
von Michael Palomino (2004 / Revision 2025)
Bemerkung: Bei der Revision von 2025 wurde das
Wort "Indianer" durch "Ureinwohner" oder "Primärnationen"
ersetzt. Die Texte wurden vereinfacht.
Michael Palomino - 25.9.2025.
2.
"Wissenschaftliche" Auseinandersetzung und
Geschichtsbilder über die Ureinwohner / Primärnationen
ab Mitte 16. Jh.
-- einige
Intellektuelle in Europa lasen die Berichte über die
Primärnationen / UreinwohnerInnen, damals "Indianer"
genannt, und waren ergriffen von der Welt, die sich ihnen
bot
-- einige der Intellektuellen reisten sogar nach "Amerika",
um mit den UreinwohnerInnen Kontakt aufzunehmen und die
Kultur kennenzulernen
-- Anfang 16. Jh. planten europäische Intellektuelle sogar,
manche Ureinwohner-Gruppen in Lexika zu erwähnen, wobei eher
die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede Erwähnung fanden
-- Acosta erfand bei der Darstellung der Völker der elt eine
Fantasie-"Trinität", wobei die Europäer "an der Spitze"
stehen sollten
-- Las Casas und Horn suchten in der Fantasie-Bibel nach
Vorfahren der UreinwohnerInnen
-- detaillierte Analysen über die Primärnationen in
"Amerika" kamen von Boemus, Guichard und Picard u.a.
Text original:
"Einige Europäer - jene, die durch die "Neue Welt" reisten
oder nicht - waren heftig berührt vom damaligen Zeitalter
und der Entwicklung der indianischen Zivilisationen.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts machten die europäischen
Intellektuellen Anstrengungen, verschiedene indianische
Gruppen in das Lexikon der europäischen Kulturen aufzunehmen.
Dabei suchten die Europäer eher die Ähnlichkeiten, statt die
potentiell erschreckenden Unterschiede zwischen den Kulturen
herauszuarbeiten.
Acosta organisierte die
Völker der Welt in einer "Trinität", mit den Europäern an
der Spitze; Las Casas und Horn versuchten in der Bibel,
Vorfahren der Indianer zu eruieren, während Boemus, Guichard
und Picard - unter vielen anderen - die amerikanischen
Kulturen für den erregten europäischen Leser detaillierte
Berichte schrieben."
1520:
Erste wissenschaftliche Betrachtung über Indios:
Johannes Boemus
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Johannes Boemus:
Riten, Praktiken und Gebräuche aller Völker
(Italienisch: Costumi le leggi
et l'usanze di tutte le genti)
Venedig: Dominico & Alvise Giglio,
Ausgabe 1566 (erste Ausgabe in Latein 1520)
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-- Johannes Boemus publizierte 1520 auf Latein einen
[soziologisch-ethnologischen] Vergleich der "alten und neuen
Völker" in Sachen "Riten, Praktiken und Gebräuchen"
-- das Buch wurde mit der Zeit immer dicker, weil durch neue
"Entdeckungen" immer neue Details hinzukamen [web11]
-- die vierte Ausgabe enthält neue Daten von Reiseberichten
und Chroniken z.B. "neues Material über Florida, die
karibischen Inseln, Mexiko und Teile Südamerikas"
-- auf diese Weise wurden die UreinwohnerInnen /
Primärnationen ein Teil des Wissens in Europa, damals
"Indianer" genannt [web12
Text original:
"Zuerst in Latein 1520 publiziert war der kleine populäre
Band von Boemus ein Versuch, in einem Schritt die Riten,
Praktiken und Gebräuche der alten und neuen Völker
darzustellen. Es war ein Buch, das unausweichlich immer
weiterwuchs, je mehr Informationen infolge der
"Entdeckungen" zur Verfügung standen [web11].
Das vierte Buch der Übersetzung enthält
neues Material über Florida, die karibischen Inseln, Mexiko
und Teile Südamerikas. Keines dieser Materialien ist neu im
absoluten Sinn; die Daten sind frei aus früheren
Reiseberichten und Chroniken zusammengestellt. Was dieses
Buch uns zu sehen erlaubt, ist, wie die Indianer Teil des
Wissens der frühen modernen europäischen Beobachter wurden."
[web12]
1550 ca.: Bericht von Bartholomé de
las Casas
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Bartholomé de Las Casas:
Wissenschaftliche
historische Gesamtabhandlung
(orig. Latein: Apologética historia sumaria)
Manuskript, frühes 19.Jahrhundert
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-- Bartholomé de las Casas [war KEIN Heiliger, sondern er
diskriminierte Andersgläubige wie andere "Christen" es auch
taten, einfach nicht sofort mit der Tötung]
-- das hier gezeigte Werk umfasst fast 4000 Seiten, ist für
die spanische Ethnologie in den "amerikanischen Ländern"
sehr bedeutend
-- die UreinwohnerInnen sollen als "Kulturen der Neuen Welt"
erkannt werden und gegen die kriminellen
Jesus-Fantasie-"Christen" verteidigt werden
-- Casas behauptet, wenn die Ureinwohner mit Kannibalismus
ein paar Menschen opfern, sei das nichts anderes als das
"christliche" Märtyrertum und das Abendmahl [nur den
"christlichen Krieg" UNTER CHRISTEN als traditionelles
Massenmord-Ritual hat Casas vergessen]
-- bis ins 20. Jh. blieb das Werk UNpubliziert unter
Verschluss [Verdacht: Das Werk ist ERFUNDEN]
-- die Ausgabe hier soll für den Grafen von Kingsborough
angefertigt worden sein [web13]
Text original:
Mit Recht kann behauptet werden, dass das Werk von Las
Casas, das in der gezeigten Version fast 4000 Seiten
umfasst, eines der wirklich bedeutenden Werken der
spanischen Ethnologie in den amerikanischen Ländern ist. Es
ist ein gedrängter Versuch, die ursprünglichen Kulturen der
"Neuen Welt" systematisch zu erkennen und diese Kultur gegen
die sie zerstörenden Kräfte zu verteidigen. Las Casas zum
Beispiel vergleicht in kühner Weise menschliche
Opferbereitschaft und kannibalistisches Ritual in Amerika
mit christlichem Tod und dem Abendmahl.
Das Werk wurde aber bis ins 20.Jahrhundert nicht publiziert.
Die hier gezeigte Ausgabe war wahrscheinlich für den Grafen
von Kingsborough angefertigt [web13].
1552
Bartolomé de las Casas:
Brevissima relación de la destruycion de las
Indias [Kurze Beschreibung der Indido-Vernichtung]
Eine Anklage gegen die Conquistadoren. Neun
Kapitel über die Indios. Sevilla, Sebastian
Trugillo, 1552-1553
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1550
hatte Las Casas eine führende Rolle im spanischen Königreich
inne, was Untersuchungen über die Behandlung der Indianer in
der "Neuen Welt" betraf. Als Antwort auf die Verteidigung
der Sklaverei durch den spanischen Bischof Sepúlveda, der
die Indianer als Untermenschen ("Indians were less than
human") erklärte und damit die Sklaverei der Spanier
rechtfertigte, bereitete Las Casas neun Aufsätze vor. Acht
davon wurden 1552 und der neunte 1553 publiziert.
Der Dominikaner war sich der
Macht des geschriebenen Wortes genau bewusst, derart, dass
er eine königliche Bewilligung zur Publikation der Aufsätze
erst gar nicht einholte. Mit der weitläufig beschriebenen
Weise der spanischen Greueltaten trafen sie die europäische
Szene wie eine Bombe. Las Casas wurde der spanische
Kronzeuge gegen Spanien selbst [web14].
Die Kritik von Las Casas bekam besondere Kraft, weil Las
Casas nicht nur ein Meister der wichtigen Traditionen der
scholastischen Philosophie und Logik war, sondern weil er
auch ein genauer Beobachter war, der die Situation der
Indios genauestens in einem unmittelbaren, überzeugenden
Stil wiedergab [web15].
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1553
Peru: Geschichtsschreibung: Bericht von Pedro de
Cieza de León über Peru
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Pedro de
Cieza de León: Parte primera de la chronica
del Peru.
[Erster Teil der Peru-Chronik]
Sevilla: Martin de Montesdoca, 1553.
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Pedro de Cieza de León:
Chronik Parte primera de la chronica del Peru über Indianer
Indios in Potosi 1553, Cero de Potosi, Silberberg
Als ein ausgezeichneter
Autodidakt ging Cieza kurz nach Abschluss der Conquista nach
Peru, um sein Glück zu suchen. Als er dort war, wurde er zu
einem präzis arbeitenden Beobachter und zeichnete die
schnell untergehende Inka-Kultur auf. Als Sohn einer reich
zeremoniell geprägten und verpolitisierten Gesellschaft
reagierte er sensibel auf Demonstrationen der
Inka-Zeremonien und Inka-Politik. Er stellte die entwickelte
Welt der Inkas der Welt der untergeordneten indigenen
Gruppen gegenüber und befragte die Eingeborenen mit der
Absicht, ihre Glaubensrichtungen Traditionen zu erkennen
[web16,web17,web18].
1581
Claude Guichard: Beschreibung
der Beerdigungsriten der "Indianer" und der
Vergleich mit den europäischen Beerdigungsbräuchen
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Claude Guichard: Funerailles et diverses manieres
d'ensevelir des Rommains, Grecs, & autres
nations, tant anciennes que modernes.
Lyon: Jean de Tournes, 1581 |
Während die Antiquariatshändler der Renaissance die
Beerdigungsriten des Altertums durchforschten, weitete
Guichard den Bereich auf die Beerdigungsriten der "Neuen
Welt" aus. Dadurch öffnete Guichard die Tür zu einer sehr
fruchtbaren Strategie, Verständnis für die Indios und ihre
Gebräuche zu erwecken: eine Suche nach alten Quellen als
Vergleich, den die Indios weniger exotisch und verständlich
erscheinen liess, dies in Begriffen der traditionellen,
altertümlichen Untersuchungen [web19,web20].
1604
Bericht von José de Acosta |
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José de Acosta: The
Naturall and Morall Historie of the East and
West Indies.
[Die Naturgeschichte und moralische
Geschischte von Ost- und Westindien]
London: Val. Sims, 1604. |
Durch die Existenz der
"Neuen Welt" war Europa dazu gezwungen, die Zivilisation neu
zu überdenken, wie sie von den Schriftstellern des Altertums
beschrieben worden war. Acosta, ein Jesuit, teilte die
Geschlechter der Welt in drei Stufen ein. Zuoberst
waren diejenigen Kulturen, die Kunst, Wissenschaften,
Schrift und politisches Leben kannten (Europäer, aber auch
Chinesen, Japaner und Syrer). Die nächsten waren jene mit
Politik und Rechtsprechung, jedoch ohne Kunst oder Schrift,
so dachte Acosta (Azteken, Inkas). Als letzte teilte Acosta
die Gruppen ein, die er als nomadische Wilde einstufte.
Seine der Trinität nach geschaffene Hierarchie ist das frühe
Erscheinen einer Art Rangklassifikation, die noch im 19.
Jahrhundert einen Grossteil der Ethnologie charakterisieren
sollte [web21].
1652
Georg Horn: Bericht mit Thesen über die Herkunft
der Indianer |

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Georg
Horn: De originibus
americanis... [Von den Ursprüngen
"Amerikas"]
Den Haag: Adrian Vlacq, einzige Ausgabe 1652. |
Wer waren die "Amerikaner" wirklich? Diese Frage im
17.Jahrhundert zu beantworten war das Wagnis der neu
gegründeten Genealogie. Wer waren die Amerikaner wirklich?
Wer waren die Vorfahren? Wie waren die Völker in die
Erzählung der Genesis zu integrieren? Wie kamen sie von der
"Alten Welt" zu der "Neuen Welt"?
Horns Text, der hier in der einzigen Ausgabe gezeigt wird,
war wahrscheinlich der ehrgeizigste Versuch, diese letzte
Frage zu beantworten. Er argumentierte, dass der einzige Weg
der Indianer der Weg über die Beringstrasse gewesen sein
konnte [web22].
1723
Bericht von Bernard Picard: Bericht über
Zeremonien und Bräuche der Indianer
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Bernard Picard:
Cérémonies et coutumes
religieuses des peuples idolâtres. [Religiöise
Zeremonien und Bräuche der Götzendiener]
Amsterdam: J. F. Bernard, 1723. |
Unter den verschiedenen Werken setzt
dasjenige von Bernard Picard aus dem frühen 18.
Jahrhundert einen besonderen Akzent. Keines der vorigen
war derart beliebt und gebraucht wie seine sechs dicken
Bände über die religiösen Bräuche und Zeremonien der
Völker der Welt, darin das Altertum wie auch die Indios
der "Neuen Welt".
Picard fasste eine grosse Fülle an Information, das meiste
davon abgeleitet, in leicht fassbare Lesestücke zusammen. Er
sammelte Material, das der Welt zur Verfügung stand und mit
seinem Werk der ganzen Welt vertraut wurde [web23].
Der Rufmord an Indios (Indigenas, Indígenas) durch
die Ausstellung in "zoologischen Gärten"
Zu kolonialistisch-rassistischen Zeiten - vom 16. Jh. bis
zum Zweiten Weltkrieg - wurden Eingeborene reihenweise aus
"Amerika" und Afrika nach Europa gebracht und dort unter
falsche Ernährung gesetzt oder sogar in zoologischen Gärten
ausgestellt, um dort "Fütterungen" und Tänze zu
demonstrieren. Viele Eingeborene starben an der falschen
Ernährung oder an unerkannten Krankheiten. Da die
zoologischen Gärten während des Zweiten Weltkriegs meistens
zerstört wurden, konnte man beim Wiederaufbau der Zoos ohne
grosse Worte auf die Wiedereinführung der Menschenhaltung in
den zoologischen Gärten verzichten. Die Details dieser
Menschenhaltung in Zoos sind fürchterlich.
Verschleppung von
Eingeborenen der Tupi Guaranís
Die datenreiche Webseite www.kartoffel-geschichte.de
berichtet:
<Im Frühjahr 1613 verschleppt Claude Delany Seigneur de
Razilly von der Insel Maranhaom (im Delta des
Grajahu/Brasilien) Eingeborene vom Stamm der Tupi Guaranís;
diese Guaranís waren unter frühen Entdeckern und Forschern
auch als »Topinambá«, »Topinambous« (André Thevet),
»Tuupinambáults« (Jean de Léry) oder »Tuppin Imba«
(Theodore de Bry) bekannt.> [web24]
Fussnote 13 berichtet dann folgendes:
Verschleppung von
brasilianischen Eingeborenen und Feuerländern und
Präsentation im Zoo
<Von zwei weiteren Verschleppungen sei berichtet: Ähnlich
Carl Friedrich Philip von Martius, der 1820 Brasilien
besuchte und von dort acht Kinder (sechs starben bereits auf
der Anreise) nach München verschleppte; beide Überlebenden
(Miranha und Juri) wurden mehrere Monate Opfer von
Sensationslust und Ratlosigkeit der Münchner Schickeria, bis
auch sie – die sich untereinander nicht verständigen konnten
– starben, obwohl ihnen doch das Weihnachtsfest nahegebracht
wurde.
Und nicht zu vergessen: Carl Hagenbeck, der
1881/1882 elf Feuerländer ins Straußenhaus des Berliner Zoos
verbrachte und die »Fütterungszeiten« dieser »Kannibalen«
bekanntgeben ließ; sieben starben während ihres
Europa-Aufenthaltes, einer davon angeblich an Schwindsucht –
aber es war »nur« Syphilis.
Feuerländer müssen der »Renner der Saison«
gewesen sein, denn auch im Pariser »Jardin de Plantes«
konnte man eine »Mustersammlung« von vier Frauen, vier
Männer und vier Kinder, besichtigen. Die Zoo-Pioniere
verfolgten neben imperialistischen auch die damaligen
Ziele des liberalen Bürgertums: geistige Vervollkommnung,
Weltoffenheit, Freiheitsliebe und Geselligkeit.>
<Der Zoologische Garten ist eine
Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Die ersten Gärten der
Neuzeit entstanden in Großbritannien, es folgen Belgien und
die Niederlande und dann Frankreich. Deutschland ist das
letzte Land, daß Zoologische Gärten einrichtet. Die
Tradition dieser Zoos reicht aber bis in die Römerzeit
zurück, wo sich die Wohlhabenden Menagerien einrichteten.
Der Zoologische Garten der Protestanten in Köln war
»gegen« den bischöflichen gerichtet, der Frankfurter eine
Demonstration der jüdischen Finanzaristokratie. Ergänzt,
vervollständigt, wurde der Zoo durch den Zirkus, der seinen
Ursprung in königlich-fürstlichen Reitschulen hatte und in
dem neben Trapez- und Seilkunststücken hippologische
Kriegsereignisse vorgeführt wurden (1825 wurde z.B. im
»Royal Amphitheatre« Napoleons Rußfeldzug unter dem Titel
»The Burning of Moscow, Or Bonaparte’s Invasion of Russia«
aufgeführt). Im übrigen: Zirkus ist wie Lungenhaschee –
nicht öfter als einmal im Jahr. > [web24]