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Kreuzzüge Meldungen 01

Meldungen

präsentiert von Michael Palomino

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Welt online, Logo

24.5.2011: <Mittelalter: Kreuzzüge waren blutige Himmelfahrtskommandos> und die Wirkung hält bis heute an

aus: Welt online; 24.5.2011;
http://www.welt.de/kultur/history/article13360181/Kreuzzuege-waren-blutige-Himmelfahrtskommandos.html

<Autor: Felix Müller

Dem Aufruf von Papst Urban 1095 folgte eine Eruption bestialischer Gewalt. Die Wirkung der Kreuzzüge ist bis heute verheerend.

Sie nannten ihn Peter, den Einsiedler, und sie sagten, dass er aus der Gegend um Amiens stammte. Er trug eine Kutte am hageren Körper, die so schmutzig war wie seine nackten Füße. Auch sah man ihn selten ohne Wein, den er literweise in sich hineinschüttete und der seine Nase schon rötlich hervortreten ließ. Eine Lumpengestalt also, einer jener bettelarmen und manischen Wanderprediger, wie man sie am Ende des 11. Jahrhunderts überall in Europa sehen konnte? Das auch. Und doch mehr als das.

Um ihn muss es eine besondere Aura gegeben haben. Die Menschen hörten ihm zu. Wenn er auf seinem Esel in die Dörfer und Städte ritt, dachten viele an die Ankunft des Messias in Jerusalem. „Was immer er sagte oder tat“, schrieb ein verzückter Chronist, „schien halbgöttlicher Art zu sein.“

Ein Begriff aus der politischen Standardrhetorik

Heute stößt man auf Peter nur noch in einigen Geschichtsbüchern und in alten Chroniken. Merkwürdigerweise. Eigentlich sollte er bekannt sein – ist sein Name doch eng mit einem Phänomen verbunden, von dem fast jeder ein klares Bild zu haben meint: dem Kreuzzug.

Seit ungezählten Jahren gehört der Begriff zur Standardrhetorik der Staatenlenker und Kriegsherren. Dwight D. Eisenhower nannte seine Memoiren „Kreuzzug in Europa“ und meinte damit den Kampf gegen das Böse, gegen Hitlers Reich. Wann immer islamistische Staatsführer oder Terroristen wie Osama Bin Laden ihre Opposition zum Westen betonten, beriefen sie sich auf die Kreuzzüge, die angeblich gegen sie geführt würden.

Eine existenzielle, fieberhafte Sehnsucht

Auch die Alltagssprache benutzt das Wort inflationär – und in wild wechselnder Bedeutung, wie das Internet zeigt. Mal ist die Semantik negativ (etwa „Real Madrids Propaganda-Kreuzzug“), mal subversiv („Kreuzzug gegen die Wächter des guten Geschmacks“), mal positiv („Unermüdlicher Kreuzzug gegen die Ungerechtigkeit“), dann wieder von absurder Komik („Ein Schweizer Hersteller von Schokohasen führt einen wahren Kreuzzug, er will den Mitbewerbern die Löffel lang ziehen“). Die frappante Vielstimmigkeit wirft die Frage auf: Was war das eigentlich, ein Kreuzzug?

Womit wir wieder beim Eremiten Peter wären. Und bei jenem geistigen Klima im Europa des frühen Mittelalters, das schon viel von der heutigen Begriffsverwirrung erklärt. Denn mit unserer Gegenwart sind kaum Gemeinsamkeiten zu erkennen. Der Glaube an das bevorstehende Ende aller Zeiten war damals kein Fall für Verschwörungstheoretiker, sondern ging breit und quer durch alle Schichten. Eine existenzielle, fieberhafte Sehnsucht nach Erlösung hatte die Menschen im Griff, die umso anfälliger für Heilsversprechen waren.

1095 auf dem Konzil von Clermont

Was konnte da attraktiver erscheinen als die Aussicht auf unbeschränkten Erlass der Sündenstrafen, verbunden mit einem gerechten Kampf im Namen des Herrn? Mit dieser Verheißung zog der Eremit Peter schon einige Zeit durch die Lande. Bis das Jahr 1095 heraufdämmerte und mit ihm das Konzil von Clermont, ein Schlüsselereignis der Kreuzzugsgeschichte.

Für Papst Urban II. sollte es der Höhepunkt einer langen Reise werden. Von Bischöfen begleitet, war er in langen Monaten von Rom nach Frankreich geritten, hatte den Marienwallfahrtsort Le Puy besucht und den Hochaltar der Basilika von Cluny geweiht. Schließlich, es war November, erreichte er die Stadt Clermont in der Auvergne. 13 Erzbischöfe waren zugegen und 315 Bischöfe, ungezählte Äbte und Adlige.

Dramaturgisch geschickt ließ Urban erst einige Tage verstreichen, kündigte dann für Dienstag, den 27. November, eine öffentliche Sitzung des Konzils an. Weil der Andrang riesig war, ließ er den päpstlichen Thron auf freiem Feld aufstellen, vor dem Osttor der Stadt. Die Menge zählte Tausende Köpfe, als er die Stimme erhob.

Die Menge schrie: "Gott will es"

Jedes seiner Worte hatte er sorgsam erwogen, es ging um viel: die Wiedererlangung der Herrschaft im Heiligen Land. Schien die Zeit dafür nicht endlich reif? Die Muslime hatten seit dem Tod Mohammeds im Jahr 632 ihren Machtbereich bis hinauf ins südliche Europa ausgedehnt, aber nun schien ihr Reich ins Wanken zu geraten. In Spanien und Portugal gelang es im Zuge der „Reconquista“, die christliche Einflusssphäre wieder weiter auszudehnen; Sizilien hatten die Normannen erst jüngst zurückerobert. Konnte man da die Urstätten der Christenheit noch länger in der Hand der Andersgläubigen belassen?

Nein, schrie Urban, bewusst den Zorn seiner Zuhörer schürend. Er sprach davon, wie die heiligen Orte in Jerusalem und Bethlehem „mit Schmutz besudelt“ würden, und behauptete, die Muslime würden den Christen „die Bäuche aufschneiden, ein Ende der Därme herausziehen und an einen Pfahl binden“. Die Menge tobte schon fast, als Urban zu seinem dramatischen Aufruf anhob: Wer nun das Schwert in die Hand nehme, dem sei die Vergebung der Sünden sicher.

Der Chronist Fulcher von Chartres überliefert seine Worte so: „Wer eben noch ein Räuber war, möge jetzt ein Krieger Christi werden; wer früher gegen Brüder und Verwandte kämpfte, soll nun rechtmäßig gegen Barbaren kämpfen!“ Jetzt gab es kein Halten mehr. „Deus lo vult!“, schrie es von überall her, „Gott will es!"

Was folgte, war eine Eruption bestialischer Gewalt, durch Urbans Ruf zwar gezielt ausgelöst, bald aber nicht mehr kontrollierbar. Wer Militärschläge heutiger Nationalstaaten Kreuzzüge nennt, ignoriert den wahren Fortgang der Dinge. Peter der Einsiedler war nur einer jener Anführer, die nun schäumenden Mob um sich scharten.

„Arme Leute“, berichtet der Chronist Guibert von Nogent, „beschlugen die Hufe ihrer Ochsen, spannten sie vor zweirädrige Karren, luden darauf ihre winzigen Vorräte und ihre Kinder.“ Überall setzten sich die Haufen in Bewegung. „Die meisten von ihnen waren Bauern“, schreibt der Historiker Steven Runciman, „aber es war auch Stadtvolk darunter, Sprösslinge von Ritterfamilien, Straßenräuber und regelrechte Verbrecher.“

Nimmt man alles zusammen, so hatte der Papst plötzlich eine Völkerwanderung von rund 40.000 Menschen in Gang gebracht, die zum Zug gen Jerusalem aufbrach. Schon bald richtete sich ihr Hass gegen alles Fremde. Im Rheinland hatten darunter vor allem die Juden zu leiden. Mehr als 10.000 Opfer forderte der religiöse Wahn allein unter ihnen.

Der Volkskreuzzug endete als Desaster

Die marodierenden Horden hingegen, die in den folgenden Monaten in Richtung Süden zogen, schafften es nur bis knapp hinter den Bosporus, wo sie von den Seldschuken bei Nikäa binnen Kurzem aufgerieben wurden. Was als „Volkskreuzzug“ in die Geschichte einging, war also vor allem eins: ein blutiges Desaster.

Man mag einwenden, dass dies ja nur ein Vorläufer der wahren Kreuzzüge war. Und endete nicht wenigstens der nächste Zug, professionell organisiert von Heerführern wie Gottfried von Bouillon, nach drei Jahren mit der Einnahme Jerusalems, mit der Etablierung von Kreuzfahrerstaaten im Heiligen Land, mit einem Erfolg der Christen also? Auch hier lohnt ein genauerer Blick.

Im Lauf eines halben Jahres, zwischen November 1096 und April 1097, vereinigten sich in Konstantinopel fünf Ritterheere, um nach Jerusalem zu ziehen. Von Beginn an gab es Konflikte. Zwar hatten die Führer dem byzantinischen Kaiser den Lehnseid geschworen, doch dieser wurde mit Aussicht auf eigene Ländereien schnell gebrochen. Auch zerstritten sich die Kreuzzügler selbst.

Von 60.000 Pilgern blieben 14.000 übrig

Hinzu kamen die Verluste. Die Hitze der anatolischen Steppe kostete Tausende Männer und Frauen das Leben. Bei der Belagerung Antiochias 1097/98 kam es zu Hungersnöten und Seuchen, bei der Eroberung der Stadt Marat an-Numan im heutigen Westsyrien wohl zu kannibalischen Exzessen. Im Januar 1099 waren von einst 60.000 bewaffneten Pilgern noch 14.000 übrig. Das jetzt so nah gerückte Ziel und ein ins Ekstatische gesteigerter Erlösungswahn trieben sie an.

Am 14. Juli folgte der Angriff auf Jerusalem. Es war ein Gemetzel von bis dahin beispielloser Grausamkeit, ein fünfwöchiger Blutrausch. Muslime, Juden, zum Teil auch koptische Christen fielen ihm zum Opfer. Gottfried von Bouillon wurde der Herrscher des neu errichteten Königreichs Jerusalem. Noch für Monate hing über ihm der Gestank der Leichen.

Ihre Wirkung war und ist verheerend

In der historischen Rückschau blieb die christliche Herrschaft im Nahen Osten eine Episode, wenn auch eine überaus grausame. Schon 1187 vertrieb Sultan Saladin die Kreuzritter wieder aus der Stadt. Nach und nach wurden den Europäern ihre Territorien wieder entrissen. Sechs weitere Kreuzzüge vermochten dies nicht zu ändern. Mit dem Osmanischen Reich expandierte der Islam in einer Heftigkeit, der nichts entgegenzusetzen war, 1291 musste der letzte christliche Herrscher seinen Posten räumen.

Was waren sie also, die Kreuzzüge? Der Idee nach waren sie bewaffnete Pilgerfahrten – vom Papsttum instrumentalisiert, um die Macht der Kirche zu stabilisieren und den muslimischen Einfluss gewaltsam einzudämmen. In der Praxis waren sie wahrhaft blutige Himmelfahrtskommandos, denen die strategische Präzision, die man ihnen gern nachsagt, oft gänzlich abging.

Und in ihrer Wirkung waren sie verheerend, bis heute: Zum Identitätskern von al-Qaida gehört der Kampf gegen vermeintliche Kreuzzüge des Westens, die jeden Dschihad rechtfertigen. Dabei waren sie vor allem ein vormodernes, tief in seiner Zeit wurzelndes Phänomen. „Gefordert waren die individuelle Umkehr des Einzelnen, sein Bekenntnis zu und sein bewaffnetes Eintreten für Gott“, schreibt der Mediävist Ernst-Dieter Hehl. Ein Eintreten, das in seiner fanatischen Härte eigentümlich fremd erscheint.>







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