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1960er Jahre: Frankreichs Atomtests in Algerien und die Folgen

Die Atombombentests in den 1960er Jahren in Algerien haben Folgen bis heute

Meldungen

präsentiert von Michael Palomino

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20 minuten online, Logo

13.2.2010: Frankreichs Atombombenversuche und radioaktive Folgen in Algerien

aus: 20 minuten online:
«Blaue Wüstenspringmaus»: Frankreichs Big Bang; 13.2.2010;
http://www.20min.ch/wissen/history/story/Frankreichs-Big-Bang-29962636

<von Daniel Huber

Vor 50 Jahren explodierte in der algerischen Wüste die erste französische Atombombe. Unter den Folgen leidet die Bevölkerung rund um das Sperrgebiet heute noch.

General Charles Ailleret persönlich zündete am 13. Februar 1960 um 7:04 Uhr die Bombe. Mit der Gewalt von etwa 70 Kilotonnen TNT — rund vier- bis fünfmal stärker als die Bombe von Hiroshima — detonierte der nukleare Sprengsatz mit dem Codenamen «Gerboise bleue» («blaue Wüstenspringmaus») auf der Spitze eines 105 Meter hohen Turms. Frankreich war, als letzte der vier alliierten Siegernationen des Zweiten Weltkriegs, Atommacht geworden.

Das französische Nuklearprogramm war bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs angelaufen; mit «Gerboise bleue» wurde nun der Prototyp für den AN-11-Sprengkopf getestet, der drei Jahre später in Serie ging und aus dem bis 1967 das nukleare Arsenal Frankreichs bestand. Die Plutonium-Bombe war der stärkste je als erster Test eines Landes gezündete Sprengsatz; in der Tat war «Gerboise bleue» (70 kt) stärker als die erste amerikanische («Trinity», 19 kt), die erste sowjetische («RDS-1», 22 kt) und die erste britische Bombe («Hurricane», 25 kt) zusammen.

Nukleare Aufrüstung

Der Test der ersten französischen Bombe fiel in eine kritische Zeit. Schon 1952 hatten die Briten ihre erste Atombombe gezündet und sich so den Status einer Nuklearmacht verschafft. Frankreich, das noch unter dem Schock seiner vernichtenden Niederlage in Indochina stand und zudem seit 1954 in einem zunehmend erbitterten Krieg gegen die algerische nationale Befreiungsfront (FLN) kämpfte, wollte mit Grossbritannien gleichziehen. Präsident Charles De Gaulle sah in der nuklearen Bewaffnung eine unabdingbare Voraussetzung, um die militärische Unabhängigkeit Frankreichs von den Briten und noch mehr von den Amerikanern zu garantieren.

Auf «Gerboise bleue» folgte bis April 1961 eine Serie von drei weiteren überirdischen Atomtests — allesamt weniger stark als 5 kt — auf dem Kernwaffentestgelände (CSEM - «Centre Saharien des Expérimentations Militaires») bei Reggane. Bevor die französische Armee 1967 endgültig aus Algerien abziehen musste — das Land war 1962 unabhängig geworden, hatte den Franzosen jedoch in den geheimen Verträgen von Evian weitere fünf Jahre Nutzung der Testgelände zugestanden — kamen noch dreizehn unterirdische Testexplosionen bei In Ecker im Hoggar-Massiv dazu. Danach musste Frankreich sich ein neues Testgelände suchen. Fündig wurde man in der Südsee, wo auf den Inseln Mururoa und Fangataufa noch bis 1996 Test stattfanden.

Nukleares Wett-Testen

Die französische «Gerboise»-Serie löste ein nukleares Wett-Testen aus. Fünf Monate nach dem letzten «Gerboise»-Test brach die Sowjetunion das De-facto-Moratorium und begann mit einer Test-Serie, bei der nicht weniger als 136 grosse Wasserstoffbomben gezündet wurden; darunter die «Zar-Bombe», die mit 50 Megatonnen stärkste Bombe aller Zeiten. Auch die USA kehrten in der Folge zu oberirdischen Tests zurück und zündeten von April bis November 1962 insgesamt 40 Bomben.

Bei den Atomtests in der Sahara vernachlässigte die französische Armee den Schutz der beteiligten Soldaten und der Zivilbevölkerung auf erschreckende Weise. Im Gegensatz zu den Tests in Polynesien wurde für die einheimische Bevölkerung — die Sahara war mitnichten menschenleer — keine Schutzbauten errichtet. Bei der Explosion von «Gerboise verte» im April 1961 wurden Infanteriemanöver abgehalten, um Truppenbewegungen unter den Bedingungen eines Atomkriegs zu testen. Noch schlimmere Folgen dürfte jedoch die unterirdische Testexplosion «Béryl» vom 1. Mai 1962 gezeitigt haben. Bei dieser Detonation wurde eine radioaktive Wolke frei, die mehrere Soldaten schwer verstrahlte. Auch der damalige französische Forschungsminister, Gaston Palewski, wurde verstrahlt. Er starb 1984 an Leukämie.

Missbildungen und Krebs

Die betroffenen Gebiete wurden weder von den Franzosen noch von den Algeriern je dekontaminiert; erst 2006 wurde der Zutritt zum verseuchten Gebiet verboten. Der algerische Opferverband AAVEN wies vor kurzem darauf hin, dass die Strahlung an manchen Orten heute noch «22 Mal höher als die internationalen Normen» sei. Die Bevölkerung leide bis heute daran, viele Kinder kämen mit Missbildungen zur Welt, viele Menschen hätten Krebs.

Frankreich hatte im Dezember 2009 eine Entschädigung für die Opfer der Strahlung gesetzlich festgelegt — für dieses Jahr sollen zehn Millionen Euro zur Verfügung stehen —, doch algerische Opferverbände kritisieren dies als ungenügend. Die Folgen der französischen Testserie werden noch lange spürbar sein.

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