Kontakt / contact     Hauptseite /
                    page principale / pagina principal / home     zurück
                    / retour / indietro / atrás / back
ENGL
<<     >>

Josef Nowak: Das Rheinwiesenlager Rheinberg

Kapitel 16: Das erste Stück Brot

Brotlieferung -- Erinnerung an die Bombardierung der Flak in Bemerode bei Hannover 1944 - auch die Küche der Flakstation wurde bombardiert -- Weissbrot -- die Brotscheibe wird bis abends aufbewahrt

aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät. Kriegsgefangen in der Heimat

präsentiert von Michael Palomino (2013)
Teilen / share:

Facebook








[Brotlieferung im Lager Rheinberg]

Fünf Wochen genau warteten die Rheinberger der ersten Stunde auf ein Stück Brot. Der Mann, der bei uns "Stubendienst" machte, brachte mit dem Trink- und Waschwasser die erste Kunde davon, dass es Brot geben solle. Er fand wenig Glauben für sein Geschwätz. Ob er das Brot selbst gesehen habe? Nein, das habe er nicht, aber er habe mit einem gesprochen, der von einem dritten erfahren habe, dass ein vierter von einem fünften gehört habe, am Bahnhof seien Wagen mit Brot eingetroffen. So war das also. Wir blieben faul in der Sonne liegen.

Es schien aber doch bald, als ob sich eine grosse Unruhe des Camps bemächtigte. Die Küche wurde allmählich ganz unsichtbar, so dicht drängten sich vor ihrem Draht die grauen Rücken. Wir losten den aus, der auf Spähtrupp ziehen sollte. Das Los traf mich.

Ich schlenderte gemächlich hin zu der Mauer, die sich da aufgebaut hatte, fand noch einen schmalen Durchlass, quetschte meinen Kopf zwischen zwei anderen Köpfen möglichst nah an den Draht.

Brot! Tatsächlich, da liegt Brot!

Wie die vor Hunger keuchenden Alaska-Wölfe einen Ring um das Lagerfeuer der Goldgräber schliessen, so belagern hier Männer das Brot, das [S.150] sauber wie die Ziegelsteine auf Stapel gelegt ist. Knurrend, schmatzend, die Lippen leckend schauen wir auf das Brot. Kein Maschinengewehr hätte uns zu vertreiben vermocht. Das war viel Brot, so viel, dass es ganz unmöglich von der amerikanischen Soldateska aufgefressen werden konnte. Das musste für uns bestimmt sein.

Ich sollte nun eigentlich zum Loch zurückkehren, den anderen armen Lumpen die frohe Botschaft zu verkünden. Aber ich kann mich vom Anblick des Brotes nicht trennen. Ich muss es andächtig verehren. Weiss Gott, ich war nahe daran, eine Kniebeuge zu machen, wäre keineswegs verwundert gewesen, wenn eine solche verlangt worden wäre.

Ein paar Stunden lang starrten wir alle demütig und hoffnungsfroh auf das Brot. Küchenbullen [200kg-Ami-Fettsäcke] laufen geschäftig, aber nichtstuend hin und her. Es macht ihnen sichtlich Spass, uns noch ein bisschen zappeln zu lassen. Sie können sich das leisten. Jeder von ihnen hat schon seinen Laib unter dem Arm. Er ist meist auch schon angeschnitten. Auch die deutschen Lagerpolizisten, die sich drinnen herumlümmeln, machen einen durchaus gesättigten Eindruck.

Dem Stand der Sonne nach ist die Mittagszeit lange vorbei. Nur Geduld, wir werden das Brot schon noch vor dem Regen bekommen. Vielleicht machen sie sich drinnen noch Kopfzerbrechen, ob sie uns Butter oder Schinken dazu liefern sollen [S.151].

Wenn es auch stark auf die Stunde des Regens zugeht, sie werden doch das Brot nicht erst im Wasser aufweichen lassen. Wenn sie das täten, dann musste sich ja auf Befehl Gottes die Erde spalten und diese Gotteslästerer allesamt verschlingen.

Und was mag in den Kochkesseln schmoren? Jetzt, da die Regierung in Washington uns Brot schickt, muss ja doch eine Zeitenwende angebrochen sein. Sie werden uns doch nicht all das nachliefern wollen, was sie uns bisher vorenthalten haben. Da könnte ja jeder von uns ein Lebensmittelgeschäft aufmachen. Jedenfalls - so schlimm wie am 4. November 1944 kann es nun nicht mehr werden.

[Erinnerung an den 4. November 1944: Die Flak in Bemerode bei Hannover wird von alliierten Bomben bombardiert - auch die Küche]

Wir wollten gerade zu Mittag essen, als uns die Sirene an die Geräte und Geschütze rief. Eine Bomber-Division war wieder einmal im Anflug auf Misburg. Wir schossen mit Erlaubnis des Reichsmarschalls Sperrfeuer auf 20 Kilometer Distanz. Die Rohre begannen zu glühen, aber wir schossen die ganze Division auseinander. Aus dem Teppich-Wurf, der dem verhassten Ölwerk den Garaus machen sollte, wurde nichts. Dafür kurvten zwei Verbände von je 30 viermotorigen Maschinen auf unsere Batterie ein.

Ich wechsle mit dem Chef einen Blick. Wir haben uns verstanden. Die Batterie soll möglichst gar nicht erfahren, was auf sie zukommt. Wir schiessen deshalb auf einen Verband, der nördlich an uns vorbeizieht. Mein Fernrohr aber ist beweglich. Ich [S.152] kann es auf die Angreifer richten.

-- Rauchzeichen über Batterie!
Ich zische es dem Chef zu.

-- Bombenschäfte gehen auf!
-- Bomben fallen!
Noch sechs Sekunden, - noch vier - noch zwei -

Und dann kracht es über uns, neben uns, vor uns, hinter uns, als hätten sich gleichzeitig Dutzende von kleinen Vulkanausbrüchen ereignet. Bis jetzt haben die blutjungen Luftwaffenhelfer am Kommandogerät wie die Waschpfähle gestanden. Sie haben schon vor ein paar Minuten gemerkt, was ihnen bevorstand. Keiner hat sich vom Kopfhörer, keiner vom Kehlkopf-Mikrofon losgerissen, um in den Bunker zu kriechen. Es hätte auch wenig Zweck gehabt. Wäre die Hauptbefehlsstelle, die betoniert war, von dem Bombenteppich getroffen worden, wir wären samt und sonders später von den Wänden gekratzt worden.

Wir neigten unsere stahlhelmbewehrten Hirnkästen bald nach Osten, bald nach Westen, nach jeder Richtung, aus der die nächste Dreckfontäne hochbrach. Ein hölzerner Kasten wirbelte dicht an die Verschanzung heran. Es war einer der Offiziers-Zylinder von der zentralen Latrinenanlage. Krachend brach das Häuschen auseinander, dass uns die Splitter um die Ohren flogen. Bretter, Balken, Steine, tote und lebende Kaninchen eigener Zucht, der Leichnam eines Schweines, Bombensplitter, Erdbrocken, alles das hagelte auf uns hernieder, bis der [S.153] Schutt kniehoch in der Hauptbefehlsstelle lag.

Keine Kanone feuerte mehr. Alle elektrischen Leitungen waren zerstört. Triumph der Technik. Da wir nur noch Drahtzieher, nur noch am Draht Gezogene sind, genügt es, den Draht zu zerreissen, und alles steht still.

Die Verschlüsse der Kanonen sind unter Lehmklumpen verschwunden. Mehrere Bedienungen sind verschüttet. Das Geschütz Bertha ist samt seinem Betonsockel aus der Erde gerissen und umgekippt. Das Rohr hat den Geschützführer wie ein gewaltiger Dreschflegel vor die Stirn geschlagen. Wir suchten ihn lange in immer weiteren Kreisen. Als wir ihn fanden, war er tot und nackt. Luftwirbel hatten ihm alle Kleidungsstücke vom Leib gerissen. In acht Minuten war die ganze Batterie ausgelöscht worden Sie feuerte in den nächsten Tagen nicht mehr.

Unsere Strassen in der Stellung waren in einem Trichterfeld untergegangen. Ich sollte erkunden, was alles geschehen war. Als ich zur Küche kam, packte mich die Wut. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Eine Bombe hatte die ganze Küchenbaracke zu ofengerechtem Kleinholz geschlagen. Die Kessel mit Fleisch, Gemüse und Kartoffeln waren zum Teufel. Glücklicherweise hatte ich ein grosses Repertoire an schwäbischen und italienischen Flüchen.

Wir buddelten die Verletzten aus. Dann hatte ich schwer zu tun auf dem Verbandsplatz. Mein Italienisch [S.154], an Dante, an Boccaccio, an Leopardi und Papini geschult, reichte nur schwer aus, als ich den Ärzten die Schmerzen der verwundeten Carabinieri verdolmetschen musste.

Carlo Rizzato, Ladekanonier bei Geschütz Cäsar, hatte einen Schädelbruch. Man brachte den Besinnungslosen in das nächste Militärlazarett. Als ich mich am nächsten Tag nach ihm umsehen sollte, war er nicht mehr da. Armer Carlo, dachte ich, wie hast du dich nach deiner lombardischen Heimat gesehnt. Nach langem Forschen ermittelte ich, dass man Carlo für einen italienischen Zivilisten gehalten hatte. Darum hatte man ihn ins Nordstadt-Krankenhaus gebracht. Einem Zivilisten kam es nicht zu, in einem Militärlazarett zu leiden und zu sterben. Ich machte den Sanitätsfeldwebel darauf aufmerksam, dass Carlo rechtmässiges Mitglied der deutschen Luftwaffe im Range eines Gefreiten sei.

-- Was! brüllte der betroffene Hausvater. Her mit dem Kerl! Ich komme in Teufels Küche, wenn er dort stirbt.

Vergeblich versuchte ich den Feldwebel umzustimmen, mit dem Hinweis darauf, dass ein neuer Transport für den Verletzten tödlich sein könne.

-- Mir egal! schnauzte der Feldwebel. Hauptsache, dass er dann wenigstens in einem Krankenwagen der Wehrmacht stirbt!

In diesem Augenblick erleuchtete mich der heilige Geist.

-- Herr Feldwebel, sagte ich, es ist doch nur ein [S.155] Italiener. Wir haben noch genug von dem Zeug da. Es fällt gar nicht auf, wenn da einer ausfällt. Die zählen doch überhaupt nicht als Soldaten.

Das leuchtete ein. Vielleicht habe ich Carlo damit das Leben gerettet. Ich weiss es nicht. Nach ein paar Wochen war er wieder gesund.

Als wir nach jenem Bombenangriff mit unseren Verwundeten fertig waren, rang der Chef die Hände. Kein Fernsprecher funktionierte mehr. Womit sollte er uns verpflegen? Wir sagten es ihm. Mit den eisernen Rationen natürlich! Aber das war ein schwerer Entschluss für den Oberleutnant. War die Lage auch schon eisern genug? Wir redeten ihm gut zu, bis er überzeugt war, dass der Ernstfall vorliege. Und dann assen wir. Es war auch Brot in luftdichter Verpackung dabei.

[Nowak verteilt Brot im Lager "Camp E"]

Brot - ich stand noch immer am Draht. Heute würde es Brot geben. Es bestand keine Bombengefahr für das Brot. Wir würden es bekommen - betrachten - verzehren - - -

Wir erhielten es wirklich. Es war nicht das Schwarzbrot,nicht das knusprige Roggenbrot, nach dem wir uns sehnten. Es war Brot, [so] weiss wie frischgefallener Schnee, wie gebleichtes Linnen.

Die Scheibe, die jeder erhielt, war gerade einen einzigen Zentimeter dick, vielleicht sogar etwas dünner.

Jetzt gelangte ich zu hohen Ehren in meinem Erdloch, auch in den benachbarten Erdlöchern. Ich war plötzlich einer der begehrtesten Männer [S.156] geworden. Als die Amerikaner bei der Gefangennahme meine Taschen ausräumten, hatten sie in der Westentasche ein zierliches Taschenmesser übersehen. Ich hatte es mir immer wieder neu erkämpft, als die Versuchung an mich herantrat, es gegen Lebensmittel einzutauschen. Man konnte ja doch Holzspäne damit schnitzeln, wenn man einmal Holz hatte. Ich hatte allen Verlockungen widerstanden. Jetzt waren wir in der Lage, unser Brot anständig zu behandeln, sauber zu teilen. Andere mussten es in Stücke reissen und diese unter Geschrei und Geschimpfe gegeneinander abwiegen.

Ob wir in unserem Loch besondere Aristokraten waren? Ich kann es nicht sagen. Ich weiss nur, dass wir über unsere Brotscheibe nicht herfielen, sondern sie voller Ehrfurcht anschauten, bis zum Abend aufbewahrten und dann erst, fast ergriffen, verzehrten. Hätten wir einen Tabernakel mit einem goldenen Kelch gehabt, dort, nur dort hätten wir das weisse Brot aufbewahrt. Ich begriff an diesem Tage erstmals ganz, warum die Christen den Leib des Herrn in der Gestalt des Brotes erkennen. Der Duft des reifen Weizens, der aus dem Brot strömt, das ist ja doch der Hauch der lebendigen Schöpfung selbst. Warum assen wir das erste Brot nicht, bevor die Dunkelheit uns voneinander schied? Vielleicht haben wir es vorher mit unseren Tränen konsekriert [geheiligt].

Als wir im Erdloch assen und nur noch in verschwommenen Konturen zugegen waren, da packten [S.157] wir ein paar armselige Wünsche in unser geschundenes Herz. Sie schienen uns der Reichtum selbst zu sein:

Ein Stück trockenes Brot essen -
in einem Stall wohnen, auf Heu oder Stroh, aber mit einem Dach über dem Kopf -
trockene Kleider am Leib haben -
an einem Tisch sitzen -
ein Buch lesen -

Nein, jetzt wirst du schon wieder unbescheiden, mein Freund. Wenn du eine Bibliothek und einen Stuhl und eine wasserdichte Decke über deinem Bett brauchst, dann musst du zusehen, dass du in ein Zuchthaus kommst. Friss dein Brot und halte das Maul! Kriegsgefangene kannten schon in der Steinzeit kein Recht, ausser dem Recht des Siegers natürlich [S.158].

<<     >>
Teilen / share:

Facebook







^